Homepage des Germanistentag22-Panels „Weder Fail noch Lobgesang: Nicht-eindeutige Wertung von Literatur im Digitalen Raum“
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Vortragsabstract für das Panel „Weder Fail noch Lobgesang: Nicht-eindeutige Wertung von Literatur im Digitalen Raum“ auf dem 27. Germanistentag 2022, Universität Paderborn, organisiert von Berenike Herrmann (Bielefeld) und Maria Kraxenberger (Stuttgart)
Mit der Etablierung der Sozialen Medien ab etwa 2005 wurden zahlreiche Versprechen verbunden, die der Selbstdarstellung des Plattformkapitalismus entsprechen: Schlagworte wie ‚Demokratisierung‘, ‚Partizipation‘, ‚User Generated Content‘ oder ‚Crowdsourcing‘ werden ‚traditionellen Kommunikationsverhältnissen‘ und ‚Expertentum‘ gegenübergestellt. Im Bereich der Literaturkritik, die schon in den 1990er Jahren durch die Medienkonkurrenz in eine Krise gekommen war (vgl. u.a. Löffler 1998), entzündete sich diese Debatte zwischen den Polen ‚professionelle Literaturkritik‘ vs. ‚Laien-Onlinekritik‘, für die man kontrastierend die Qualität von ‚FAZ-Feuilleton‘ vs. ‚5-Sterne-Amazon-Kritik‘ diskutierte. Spätestens seit dem Germanistentag 2014 entstehen jedoch zunehmend literaturwissenschaftliche Arbeiten, die diese binären Matrizen zu differenzieren versuchen (vgl. u.a. Kaulen/Gansel 2015), inzwischen wird die Online-Literaturkritik als eigenständiger Forschungsbereich adressiert (vgl. u.a. https://netzliteraturwissenschaft.net/online-literaturkritik/, 2022). Es ist jedoch weiterhin ungeklärt, ob der mögliche Mehrwert einer ‚vernetzten‘, ‚kollaborativen‘ oder ‚schwarmintelligenten‘ Online-Kommunikation auch differenziertere bzw. nicht-eindeutige literarische Bewertungen jenseits der 1- bzw. 5-Sterne-Empfehlung befördert und, wenn ja, wie diese angemessen zu analysieren wären. Der Vortrag nähert sich diesen Problemen, indem er zwei im Kontext der Sozialen Medien vielgenutzte Begriffe in den Fokus stellt, die unterschiedliche Phänomene vernetzter Kommunikation zu fassen versuchen: ‚Mem‘ und ‚Mojo‘. Zunächst soll gefragt werden, inwiefern Meme, also die vermehrte Nachnutzung und Modifikation spezifischer multimodaler Zeichenkomplexe in Sozialen Medien, auch für die (uneindeutige) Bewertung von AutorInnen und Œeuvres genutzt werden (z.B. rund um Peter Handke und das Hashtag #ichkommevon auf Twitter). Die Ausgangsthese wäre, dass durch die kollaborative und variierende Arbeit an Memes auch differenziertere und somit uneindeutige Wertungen befördert werden, auf die sich eine ‚Crowd‘ bzw. ‚Community‘ möglicherweise konsensual einigt. Daneben rückt das Mojo-Modell in den Fokus, das von der deutschen Social Reading-Plattform yourbook.shop (früher Mojoreads) programmatisch benutzt wurde, um den mikroökonomischen kommunikativen Mehrwert von Plattform-Buchempfehlungen für ihre NutzerInnen zu bezeichnen – wobei hier, so die These, in spezifischen Subgruppen der Social Reading-Plattform nummerische Normalisierungen untersucht werden können. Der Vortrag widmet sich in einer plattformanalytischen Vorgehensweise der ‚Mojo‘-Empfehlungsökonomie auf yourbook.shop sowie aus einer wertungsanalytischen Perspektive einzelnen für die Bewertung von Gegenwartsliteratur genutzten Memes (und deren Variation auf Twitter). Die Analysen werden die Phänomene als spezifische Formen einer Online-Literaturkritik erfassen, die Formate und Inhalte uneindeutiger kollaborativer Wertungen differenzieren und schließlich die Frage beantworten, in welcher Form diese unterschiedlichen Konstellationen zu einer partizipatorischen und differenzierten (uneindeutigen) Bewertung von Literatur beitragen können.
Prof. Thomas Ernst ist Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universiteit Antwerpen. Daneben lehrt er an der Universiteit van Amsterdam und hält er eine Venia legendi für Germanistische Medienkulturwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen. Kurzbiografie: https://thomasernst.net/zurperson/
Kontakt: thomas.ernst@uantwerpen.be